Droht nun ein großer Krieg um Europa?
Nach ersten Gesprächen zwischen Trump und Putin schlagen Militärexperten Alarm: Es drohe ein großer Krieg um die Vormachtstellung in Europa, womöglich sogar innerhalb von Monaten.
Veröffentlicht:17.02.2025, 18:00
Von: Carsten Korfmacher
Dieser Tage ist eines klar geworden: Die Zeiten der Gemütlichkeit in der Bundesrepublik sind vorbei. Es geht ans Eingemachte. Am Valentinstag hatte der US-amerikanische Vizepräsident J. D. Vance zu einem Rundumschlag gegen die Europäische Union und insbesondere gegen Deutschland ausgeholt und dabei Fragen der Sicherheit mit Fragen des europäischen Freiheitsverständnisses verbunden. Die Quintessenz: Warum sollen die USA Europa beschützen, wenn das gemeinsame Wertefundament, nämlich der unbedingte Wille zur Verteidigung der Freiheit, auf europäischer Seite erodiert?
Dies kann man als freundschaftliche und aufrichtige Sorge über einen möglichen europäischen Irrweg verstehen. Die Aussagen des US-Vizepräsidenten können aber auch anders gelesen werden, zum Beispiel als Vorbereitung eines amerikanischen Austritts aus der Nato, die sich schließlich nicht nur als Selbstverteidigungsbündnis, sondern auch als Wertegemeinschaft versteht. Oder sie können als ersten Schritt in einem Trump’schen Plan interpretiert werden, Russland aus der freundschaftlichen Umarmung Chinas zu eisen, um dem größten Systemkonkurrenten einen Verbündeten zu nehmen und selbst einen Partner zu gewinnen.
In jedem Fall täte die Europäische Union gut daran, sich auf jeden erdenklichen Fall vorzubereiten, steht doch ihre äußere Sicherheit, und damit ihre Existenz, auf dem Spiel. „Deutschland befindet sich in einer Vorkriegsphase“, sagte der Militärhistoriker Torsten Heinrich am Sonntag in einer Sendung auf seinem Youtube-Kanal. Die heutige Politik sei in der Verantwortung, diesen Krieg durch Aufrüstung und damit eine glaubwürdige Abschreckung zu verhindern. Es sei keine theoretische Überlegung mehr, ob der russische Machthaber Wladimir Putin Willens sei, seine Ziele auch militärisch zu erreichen. Russland hätte bereits durch Verluste in den Hunderttausenden in der Ukraine seine Entschlossenheit bewiesen. „Wir brauchen nicht mehr in abstrakten Dingen reden. Das passiert gerade, jeden Tag“, so Heinrich. „Wenn der Westen nicht kapiert, dass diese Maschinerie auch gegen ihn gerichtet werden kann, dann wird er einen hohen Preis dafür bezahlen.“
Ähnlich sieht es der österreichische Militärexperte Gustav Gressel. Nach dem Telefonat Donald Trumps mit Putin sagte Gressel, dass dies „nicht der Durchbruch zum großen Frieden“, sondern „der Durchbruch zum großen Krieg“ sei. „Jetzt ist es sicher, wirklich sicher, dass es kein auf die Ukraine begrenzter Krieg bleiben wird“, sagte Gressel dem Nachrichtenportal „Web.de“ am Wochenende. „Wir werden in den nächsten Jahren, wenn nicht Monaten, einen Großkrieg um Europa haben.“
Experte rät EU zu eigenen Atomwaffen
Die Dringlichkeit der Lage scheint auch in der deutschen Politik angekommen. „Lasst uns auf das Beste hoffen und das Schlimmste vorbereiten“, sagte Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz am Wochenende. Es bestehe die Möglichkeit, dass die Zeitenwende im Jahr 2022 in diesem Jahr „zum Bruch der transatlantischen Beziehungen“ führen könne. Doch wie genau könnte eine Vorbereitung auf das Schlimmste aussehen? Militärexperte Gressel rät zu einem radikalen Schritt: Deutschland und Europa müssten ein eigenes Atomwaffen-Programm aufsetzen. „Das ist aus meiner Sicht die einzige Art und Weise, die europäische Unabhängigkeit und Sicherheit zu bewahren.“
Der Grund: Russland gehe es im derzeitigen Krieg nicht um die Ukraine, sondern „darum, Europa zu beherrschen“. Die Vernichtung der Ukraine sei dafür nur die Vorbedingung und dieses Ziel sei nun zum Greifen nah. „Für die deutsche Sicherheit ist es im Grunde unumgänglich, dass man über eine zuverlässige nukleare Abschreckung verfügt“, so Gressel. „Die amerikanische ist seit den vergangenen Tagen nicht mehr glaubwürdig.“
Europäische Verteidigungsunion dauert zu lange
Als einzige europäische Länder sind Frankreich und Großbritannien im Besitz von Atomwaffen. In Deutschland wird ein Teil der amerikanischen Atomsprengköpfe gelagert, diese dürfen aufgrund der nuklearen Teilhabe der Nato im Falle eines Atomkriegs auch von deutschen Kampfflugzeugen transportiert werden. Zu den weiteren Atommächten der Welt gehören Russland, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea.
Derzeit ist ein europäisches Atomwaffenprogramm unrealistisch, da die einzelnen Staaten sicherheitspolitisch souverän agieren und es keine verbindliche europäische Verteidigungspolitik gibt. Es ist unklar, ob sich alle EU-Mitglieder überhaupt auf eine gemeinsame Position zur Verfügungsgewalt über europäische Atomsprengköpfe einigen könnten. Bedingung wäre somit der Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion – und das wäre ein langfristiger Prozess.
Düstere Aussichten für den Frieden
Laut Militärexperte Gustav Gressel hat die Europäische Union diese Zeit nicht. Aus Putins Sicht sei es vorteilhafter, „den Krieg um Europa schneller zu beginnen als später“. Selbst wenn die Nato-Staaten fünf Prozent ihrer jeweiligen Wirtschaftsleistung in die Aufrüstung investierten, würde dies Zeit brauchen. Deshalb: „Je früher Putin angreift, desto besser für ihn“, so Gressel. Zwar sollte alles darangesetzt werden, einen „großen europäischen Krieg noch aus eigener Kraft abzuwenden“. Doch Gressel ist skeptisch ob der Erfolgsaussichten dieses Unterfangens: „Ob sich das überhaupt machen lässt, ist fraglich.“